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Wo, bitte, geht’s zum „Bätscheler“?

Wo, bitte, geht’s zum „Bätscheler“?

Wo, bitte, geht’s zum „Bätscheler“?

 

Wo, bitte, geht’s zum „Bätscheler“?

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Für Heiterkeit auf der einen, Haareraufen auf der anderen Seite sorgte in den letzten Tagen bei meinen studentischen Freunden und Bekannten (ob korporiert oder nicht) ein Online-Artikel der FAZ zu den Befindlichkeiten von Studienanfängern – natürlich durchaus passend, diesen pünktlich zum Ende des Sommersemesters und der Bewerbungsfristen für das Wintersemester zu veröffentlichen.

Was Schulen nicht leisten, darf die Uni nicht fordern?!

„Ich behaupte nicht, daß die heutige Studentengeneration dümmer ist, aber die Kompetenzen liegen heute auf einem ganz anderen Gebiet“, sagt da Gerhard Wolf, Professor an der Universität Bayreuth. Allein dieser Satz läßt in seinem vorsichtigen Lavieren zwischen Beschreibung eines frappierenden Umstandes und höflicher Zurückhaltung aufhorchen: Was mag die „heutige Studentengeneration“ im Unterschied zu früheren ausmachen? Nun, es geht laut Wolf schon bei sprachlichen Feinheiten los: Die „veränderte Kommunikation in der Gesellschaft“ sei eine mögliche Ursache dafür, daß Studenten essentielle grammatische Bereiche nicht mehr beherrschten und somit nicht in der Lage seien, wissenschaftlich zu formulieren.

Hinzu komme, daß sich der Schwerpunkt schulischer Ausbildung von sprachlichen Feinheiten hin zu ansprechenden Präsentationen verlagert habe. „Die Schulen vermitteln nicht mehr die wesentlichen Kulturtechniken“ – im Grunde fällt Wolf so ein vernichtendes Urteil über die (nicht erst) gegenwärtige bundesdeutsche Bildungspolitik. Aber nein, es liegt ihm fern, die Schulen für das glatte Verfehlen ihres Bildungsauftrags zu geißeln: „Es ist tragisch, daß die Universitäten darauf nicht vorbereitet sind.“

Wenn Wissenschaft emotional wird

 Noch bitterer sieht es offensichtlich beim Umgang mit Quellen, nicht nur denen der Geschichtswissenschaft, aus. „Da ihnen die handwerklichen Analyseinstrumente und das historische Kontextwissen oft fehlen, versuchen sie es mit ihren subjektiven Empfindungen. Wenn man aber an Goethes Werther wie an einen Harry-Potter-Roman herangeht, erleidet man schnell Schiffbruch.“ Das ist wohl wahr – und so wahnwitzig diese Entwicklung klingen mag, hat Wolf sie doch in adäquate Worte gefaßt. Aus meinem eigenen Bachelorstudium ist auch mir ein absurder Moment erinnerlich:

Im Wintersemester 2010/11, ausgerechnet in einer Vorlesung über „Das ‚Dritte Reich‘ und seine Nachgeschichte“, bei der Besprechung des Bürgerbräukeller-Attentats auf Adolf Hitler, meldete sich ein Kommilitone zu Wort und plauderte fröhlich drauflos, daß er Georg Elser persönlich für einen viel „ethischeren“ und „besseren“ Hitler-Attentäter hielte als Claus von Stauffenberg. Der Dozent (seines Zeichens eine Koryphäe in den gegenwärtigen deutschen Akademikerkreisen zu den Themen Carl Schmitt und Konservative Revolution) sowie etliche Studenten betrachteten ihn mit immer weiter aufsteigenden Augenbrauen, bis er seinen Monolog beendet hatte. Auf die anschließende Frage „… und Ihre Frage war jetzt was genau?“ antwortete der Kommilitone dann lediglich mit einem seligen Lächeln und den Worten „Wollte ich nur mal gesagt haben“, was für schiere Konfusion sowohl auf den Rängen als auch beim Professor sorgte.

Jungakademische Sprachlosigkeit

Wirklich absurd werden Wolfs deutlich zu nachsichtige Ausführungen, abgesehen von der Stelle, in der er mangelndes Wissen über die Geschichte des Christentums als mögliche Keimzelle eines neuen „Aberglaubens“ und einer „antirationalistischen Haltung“ ausmacht – Religion ohne Mythos ist letztlich nichts anderes als Ethik, und dafür wird ja sogar spezieller Schulunterricht angeboten,  um die armen Kinder nicht der Drangsal katholischer oder protestantischer Bevormundung auszuliefern –, aber in der Kausalkette:

 „Generell besteht eine mangelnde Fähigkeit, selbständig zu formulieren, zusammenhängende Texte selbständig zu schreiben und unterschiedliche Stilregister zu bedienen. Gleichzeitig sind die Universitäten heute auch stärker wissenschafts- und methodenorientiert als früher. Durch die Bachelorstudiengänge sind teilweise Inhalte in diese Module gekommen, die einen extrem hohen Wissenschaftsanspruch haben. Davon werden vor allem Lehramtsstudenten überfordert.“

Bringschuld einmal umgekehrt

Erstens einmal: Ganz grundsätzlich haben Lehramtsstudenten genauso vertraut mit den methodischen Herangehensweisen ihrer Fächer zu sein, wie alle anderen Geisteswissenschaftler auch. Oder wird sich in Lehrerzimmern nur auf die behördlichen Handbücher zum politisch genehmen Umgang mit neuem Unterrichtsstoff und dem jeweils aktuellen Literaturkanon verlassen? Ein Mindestmaß an Quellenarbeit und -kritik sollte doch gerade auch bei Lehrkräften aktivierbar sein; zumindest kann ich mir gut vorstellen, daß Eltern solches von Menschen, denen sie ihre Kinder zur Wissensvermittlung anvertrauen, erwarten.

Des weiteren habe zumindest ich persönlich in meinem Studium nichts von einem „extrem hohen Wissenschaftsanspruch“ mitbekommen. Sicherlich werden gewisse Erwartungen an Studenten der Geisteswissenschaften gestellt, insbesondere im Hinblick auf die unumgänglichen Seminararbeiten. Dafür gibt es aber zu Studienbeginn (oft sogar auf das gesamte erste Studienjahr verteilt) mehr als hinreichend viele Tutorien und Übungen, in denen Anwesenheitspflicht herrscht und in denen man vollumfänglich auf die Herausforderungen des Studiums vorbereitet wird. Zumeist stehen die Tutoren, die in der Regel selbst noch Studenten sind, ihren Schützlingen auch darüber hinaus noch mit Rat und Tat zur Seite.

Wer lernen will, wird lernen

Und was lernt man da nicht alles – vom Halten eines Referats (gerne auch ohne effektvolle PowerPoint-Präsentation, mit schlichten Klarsichtfolien) über richtiges Zitieren bis hin zum Ausformulieren ordentlicher Einleitungen für wissenschaftliche Arbeiten. Was Quellenarbeit und Quellenkritik angeht, durfte ich mir die entsprechenden Belehrungen in Vorlesungen des ersten und zweiten Semesters anhören, bis sie mir zu den Ohren wieder heraussprudelten.

Es ist also durchaus nicht so, daß sich an den Universitäten nicht Mühe gegeben würde, die „Frischlinge“ sanft, aber nachdrücklich an ihr Handwerk heranzuführen. Wenn man auch nach drei Semestern noch nicht richtig zitieren und formulieren kann, sollte man sich als Geisteswissenschaftler eben fragen, ob man den richtigen Studiengang gewählt hat – davon sind Lehrämtler keinesfalls ausgenommen. Ein Mindestmaß an Professionalität darf eben auch schon während des Studiums sein; mit „extrem hohen“ Ansprüchen hat das wirklich nichts zu tun.

Wenn die Hochglanzmedien obsiegen

Was aber kann nun – abgesehen von verkorksten Gymnasiallehrplänen – ein Grund für die dräuende Verflachung des akademischen Niveaus sein? Ich habe schon vor längerer Zeit etwas ausgemacht, das ich an dieser Stelle einmal das „NEON-narzißtische Spannungsfeld“ nennen möchte (das etwas lahme Wortspiel sei mir verziehen): Gerade die Geschichtswissenschaft, mein Hauptfach, ist tendenziell ein Wunschfach für unbekümmerte „Ich hab‘ keine Ahnung, was ich nach dem Abitur mit meinem Leben anfangen soll, aber ich will unbedingt studieren, weil das alle machen und in der NEON steht, daß das voll Spaß macht und nur aus Party und Rumvögeln besteht“-Mitmenschen. Die denken sich dann: „Och, in der Schule war ich da drin ganz gut… Deutsche Geschichte ist immer ganz böse… Wird schon schiefgehen.“ Ich werde nie vergessen, wie damals in der Einführungsveranstaltung des ersten Semesters den versammelten Kommilitonen reihenweise die Kinnladen heruntergefallen sind, als es dort hieß, daß sie innerhalb des ersten Studienjahres – soweit noch nicht vorhanden – das kleine Latinum nachholen müßten. Ein Umstand, den man problemlos in der online frei verfügbaren Prüfungsordnung nachlesen konnte; auf die Idee waren aber offenbar viele, viele Studieninteressierte nicht gekommen.

Ganz abgesehen davon scheinen viele junge Erwachsene ihre enge Bindung an unsere Medienlandschaft nicht abschütteln zu können (oder zu wollen?). Oben erwähnter Kommilitone, seines Zeichens übrigens tatsächlich Lehramtsstudent, brachte es in einer anderen Sitzung derselben Vorlesung tatsächlich fertig, wiederum im Rahmen einer Wortmeldung – ohne jeglichen Themenbezug – in höchsten Weihen von einem aktuellen Spiegel-Leitartikel über Joseph Goebbels zu sprechen und den Dozenten um seine Meinung dazu zu bitten. Eine Kommilitonin konnte daraufhin nicht mehr an sich halten und giftete ihn an, daß er offensichtlich das falsche Fach belegt habe, wenn er meine, den Spiegel als verläßliche und maßgebliche Quelle heranziehen zu können. Dem Dozenten rang der gesamte Vorgang ein amüsiertes Schmunzeln ab, bevor er ohne weiter Einlassungen zu seinem Vorlesungsstoff zurückkehrte. Vielleicht ist das tatsächlich der beste Weg, als unmittelbar Betroffener mit dem Dilemma der „heutigen Studentengeneration“ umzugehen – wie man in Österreich sagt: „Ned amal ignorier’n!“ Wer aber angesichts dieser Situation lieber wehklagen und die Zeiten verfluchen möchte, dem sei das selbstverständlich unbenommen; es gibt sogar passende Musikuntermalung dazu.

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