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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Geschichte als Fernsehspiel

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Geschichte als Fernsehspiel

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Der Gewaltfrieden“ und „Die Konterrevolution“ sind die beiden „Dokumentarspiele“ betitelt, die im Auftrag des Bayerischen Rundfunks entstanden und nach ihrer Erstausstrahlung im Mai 2011 Mitte dieses Monats erneut gesendet worden sind. Die beiden Filme beschäftigen sich mit der unmittelbaren Nachkriegssituation im Deutschen Reich von der Waffenstillstandserklärung 1918 bis hin zum Abbruch des Kapp-Lüttwitz-Putsches 1920.

Dankbare Abwechslung

Basierend auf historischen Originaldokumenten sowie dem Tagebuch des Grafen Kessler versuchten die Regisseure und Drehbuchautoren Fischerauer und Gietinger, die schiere Masse an politischen Ereignissen der deutschen Revolutions- und Schicksalszeit in eine filmische Form zu gießen, die vor allen Dingen der historischen Authentizität Rechnung tragen sollte. Herausgekommen sind Erzeugnisse, die zum einen dem sattsam bekannten und mittlerweile beinahe zum Standard gewordenen Histotainment“-Format des deutschen Geschichtsfernsehens genügen.

Auf der anderen Seite kam es – verblüffender- und glücklicherweise – nicht zu einer groben und einseitigen Verkürzung der komplexen Thematiken, wie dies bei entsprechenden Fernsehproduktionen leider oftmals der Fall ist. Insbesondere aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ist hier von einer stetig zunehmenden Verflachung der historischen Allgemeinbildung auszugehen.

Zuwenig Unterhaltung?

Die „Dokumentarspiele“ des BR hingegen halten sich absichtlich und mit Recht vorrangig mit dem Geschehen jenseits der Straße auf. Ihre visuellen und argumentativen Schlachtfelder sind die Weimarer Nationalversammlung, die Oberste Heeresleitung, ein gewisser Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne sowie die informellen Zusammenkünfte politischer Fädenzieher in Berliner Hinterzimmern.

Natürlich kann man den Produktionen diesbezüglich mit den Worten eines Kritikers vorhalten, vor allem „preiswerter zu produzierende Gesprächsrunden in historischer Kostümierung“ realisiert zu haben. Solcherlei Spitzfindigkeiten, ebenso wie die Klage darüber, daß „etwas mehr Tempo“ die Filme durchaus aufgewertet hätte, verkennen aber die tatsächliche Wertigkeit derartiger Fernsehsendungen – insbesondere solcher, die sich mit dem erwähnten Zeitraum befassen.

Für manche wohl eher zuviel Bildung!

In der allfälligen populärwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den „schwarzen Jahren“ 1933 bis 1945 ist – abgesehen von einigen kleineren Dokumentationen – insbesondere die Frühzeit der Weimarer Republik für den Fernsehzuschauer beinahe komplett unter den Tisch gefallen. Allerspätestens mit dem immensen Popularitätszuwachs des „Knoppschen Stils“ der Dokumentation und seinem maßgeblichen Fokus auf Zeitzeugen wurde eine vergleichbare Thematisierung des historischen Wegs in die Diktatur unmöglich.

War und ist es bereits schwierig, Angehörige der „Erlebnisgeneration“ des Zweiten Weltkriegs aufzuspüren, so wird wohl niemand mehr heute, beinahe ein Jahrhundert nach Ausbruch der Ersten Weltkriegs, ein solches Unterfangen auf sich nehmen. Dabei läßt sich die Endphase der Weimarer Republik – von ihrer Bedingtheit durch die Weltwirtschaftskrise einmal abgesehen – nur schwerlich bis gar nicht ohne Kenntnis von ihrer turbulenten Anfangszeit verstehen. Die vielbemühte Formel von der „Demokratie ohne Demokraten“ muß ohne Wissen um die Genese dieser Demokratie eine hohle Phrase der enthistorisierten Geschichts- und Politikentwicklung von heutigen Maßstäben aus bleiben – gerade an neuralgischen Punkten der Historie, wo eine abgeklärte, wissenschaftliche Betrachtung sine ira et studio umso wichtiger wäre, stets ein schmerzlicher Vorgang für den Geschichtswissenschaftler.

Da ist es schon deutlich interessanter und vor allem authentischer, sich auf eine möglichst originalgetreue Dialogwiedergabe zu konzentrieren, wie es der recht gelungene „Stauffenberg“-Fernsehfilm Jo Baiers von 2004 vorgemacht hat – ein Konzept, das sich auch in den BR-Produktionen niedergeschlagen hat. Zwar dürfte mancher „erlebnisorientierte“ Zuschauer so schwerlich bei der Stange zu halten sein und sich auch auf der geschichtspädagogischen Metaebene manches Defizit auftun, doch muß man sich letztlich fragen: Ist es Aufgabe einer Geschichtsproduktion, die Vergangenheit abzubilden – oder soll lediglich vermittels „alter Hüte“ die aktuell-zeitgeistige Sinngebung abgestützt werden?

Geschichte geht nur ohne Moralin

Die Frage ist bei solchen medialen Geschichtsdarstellungen selbstverständlich immer, welche Intentionen dahinterstecken. Geht es darum, auch dem Zuschauer, der ohne Unterhaltungswerte nicht zum Einschalten zu bewegen ist, zumindest geschichtlich abgesichertes Basiswissen zu vermitteln? Oder handelt es sich um den eher plumpen Versuch einer Inszenierung von „Brot und Spielen“ auf dem Rücken der Geschichte, möglichst noch mit dräuendem moralischen Zeigefinger?

Als Beispiel für letztere Inszenierungen kann der ebenfalls dieser Tage ausgestrahlte „Napola – Elite für den Führer“ (wohlgemerkt ein gutfinanzierter Kinofilm!) dienen, der es zugunsten emotionaler Bilder und holzschnittartiger Charakterdarstellungen mit historischen Tatsachen ganz und gar nicht genaunahm. Dankenswerterweise hat sich ein ehemaliger NPEA-Schüler mit einem eindringlichen Plädoyer gegen den Film und einer Aufzählung seiner Ungenauigkeiten seinerzeit an die Presse gewandt – nicht zuletzt auch, um darzulegen, weswegen er im Nachhinein nicht mehr mit dem Film, dessen „historischer Berater“ er ursprünglich sein sollte, in Verbindung gebracht werden wolle. Der unlängst präsentierte ARD-Zweiteiler „Laconia“ hätte im selben Kielwasser fahren können, konnte die ganz großen Untiefen jedoch gerade noch umschiffen – wie Martin Lichtmesz so richtig feststellte, vermutlich aufgrund der Beteiligung des ehemaligen, von Schuldkomplexen freien, Kriegsgegners.

Maßvolle Emotionalität

Natürlich sind auch die BR-Filme von gewissen pathetischen Momenten nicht frei. Gerade im „Gewaltfrieden“ soll es Schicksalhaftigkeit und drohendes Unheil suggerieren, wenn zum Ende des Films erst ein Defilee Erich Ludendorffs an den versammelten Führern des nationalistischen Widerstands gegen die Weimarer Republik (mit ausführlichen Namens- und Funktionsbenennungen, damit dem Konsumenten hinterher der Blick in Lexikon und Geschichtsbuch leichterfällt) gezeigt wird und im Anschluß der umstürzlerische Zirkel bei seinen finsteren Machenschaften von einem schattenhaft dargestellten Freikorpssoldaten mit riesigem Hakenkreuz auf dem Stahlhelm bewacht wird.

Ähnliches gilt für die Familienportraits des späteren Attentatsopfers Erzberger sowie eines exemplarischen „roten Matrosen“; diese kommen jedoch weitaus nicht so eindringlich daher wie in vergleichbaren Produktionen. Insbesondere die Darstellung des psychischen Drucks auf Matthias Erzberger ergänzt sich mit dem thematisch verwandten ersten Teil der Filmfolge „Verschwörung gegen die Republik“ zu einem stimmigen Gesamtbild und kann gewiß zu einem tieferen Verständnis für den zwischen seiner vaterländischen Verantwortung und dem Haß von alliierter und deutschnationaler Seite zerriebenen Zentrumspolitiker beitragen.

Die Aporie des Fernsehens

Letztlich bleibt doch vor allem die Frage, was das Genre „Histotainment“ an sich über die Einstellung der Deutschen insbesondere ihrer eigenen Geschichte gegenüber aussagt. Die in US-Filmen und -Serien häufig gezeigte, halb scherzhafte Einstellung von Schulkindern ihrem Unterrichtsstoff gegenüber („Warum sollte ich das Buch lesen, wenn ich mir auch den Film dazu ansehen kann?!“) scheint auch hierzulande abgefärbt zu haben, obgleich die Motive wohl andere sein dürften.

Durch die von Kindesbeinen an erfolgende, zwanghafte Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus – und gewisser Geschichtsstränge, die angeblich darauf hinlaufen sollen, so zum Beispiel der Kolonialgeschichte – wächst nicht nur die Ablehnung gegenüber dem Thema, sondern auch die Ermüdung angesichts der schier unfaßlichen Komplexität und häufigen Divergenz des damaligen Systems und seiner unzähligen Untergliederungen.

Gerade aus einer solchen Resignation angesichts eines Sachfelds, das in vollem Umfang zu erfassen man schlicht nicht imstande ist (und das nicht grundlos noch immer von Myriaden von Historikern beackert wird), heraus ist man umso mehr versucht, sich an die hübsch drapierten und nicht zu voluminösen populärwissenschaftlichen Appetithäppchen des „Histotainments“ zu halten: „Die Geschichte hab‘ ich griffbereit, wie eine Tafel Schokolade“, wie es Rainald Grebe in seinem Hymnus an Guido Knopp formulierte.

Wo endlich alles verflacht

Die Darstellung der „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ (Nolte) in hübsch-finsteren, möglichst nächtlichen Bildern, bedrohliche Musikkulissen und die ständigen O-Töne von Zeitzeugen ermöglichen es dem Konsumenten, sich einerseits (in der Regel) 45 Minuten lang bequem zu gruseln, andererseits aber auch noch ein paar geschichtliche Rahmendaten und Zitate mitzubekommen, mit denen sich an Schule, Universität oder Stammtisch punkten lassen könnte – daß die Anderen mehr wissen als man selbst, läßt sich mit durchaus guten Erfolgsaussichten in Zweifel ziehen.

Zumindest mir passiert es in akademischen Veranstaltungen nicht selten, daß Kommilitonen für ihre Redebeiträge lieber YouTube und Spiegel zu Rate ziehen als die vom Dozenten empfohlene Fachliteratur. Sehr bedauerlich (und schlecht für den Blutdruck), aber wohl als Zeichen der Zeit vorerst nicht zu ändern. Zumindest nicht, solange nicht vehement auf die in der Regel mangelnde Wissenschaftlichkeit entsprechender Film- und Fernsehproduktionen hingewiesen wird. Auch, wenn man hierzulande hin und wieder den Eindruck bekommen mag: Geschichte ist kein Spiel, sondern „die größte Lehrmeisterin“ (Margret Boveri in einem Essay über Ludwig Beck), und man darf der Geschichtslosigkeit keinen Vorschub leisten, indem man farbenfrohe, semiwissenschaftliche Veranschaulichungen einfach für bare Münze nimmt.

Die beiden BR-Fernsehfilme gehören zu den wenigen, löblichen Ausnahmen im „Dokumentarspiel“-Bereich, doch im großen und ganzen sollte man auch und gerade hinsichtlich historisch-dramaturgischer Darstellungen eher die Ratschläge der „ClownUnion“ zum Thema Fernsehen befolgen.

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